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ʿAbd al-Qādir al-Jazāʾirī (1808-83) lebte in bewegten Zeiten. Als junger Mann sah sich ʿAbd al-Qādir mit der Invasion seiner westalgerischen Heimat durch Frankreich konfrontiert, gegen die er als Anführer eines islamischen Jihads in den 1830er und 1840er Jahren hartnäckigen militärischen Widerstand leistete. ʿAbd al-Qādir baute sein eigenes Staatswesen auf, führte militärische Reformen durch und bekämpfte den französischen Herrschaftsanspruch über muslimische Bevölkerungen im Namen des marokkanischen Sultans. Nach mehreren militärischen Erfolgen wurde er jedoch von den überlegenen französischen Streitkräften besiegt und schließlich auch in offiziellen marokkanischen Verlautbarungen als Rebell denunziert.
Nach seiner Kapitulation gelangte ʿAbd al-Qādir als politischer Gefangener nach Frankreich, wo er die Revolution von 1848 und den Aufstieg Louis Napoléons (Napoléons III.) miterlebte. Nachdem dieser ihn 1852 in die Freiheit entlassen hatte, begab sich ʿAbd al-Qādir ins Exil im Osmanische Reich, wo er sich bald in Damaskus niederließ und als lokaler Notabler, wohlhabender Händler und Sufi-Gelehrter überregionalen Einfluss genoss.
Gleich zweimal erlangte ʿAbd al-Qādir zu seinen Lebzeiten weltweite Berühmtheit: zum einen im Zuge seiner militärischen Feldzüge gegen die Franzosen und zum anderen während der anti-christlichen Unruhen in Damaskus 1860 als heldenhafter Retter der Christen vor Ort. Die dramatischen Brüche, die er erlebte, beendeten nicht etwa seine Karriere, sondern änderten vielmehr ihre Richtung. Die Spanne seines Lebens fiel zusammen mit einer entscheidenden Phase in der kolonialen Expansion der europäischen Staaten, während welcher der muslimische Mittelmeerraum durch die Errichtung direkter und indirekter Kolonialherrschaften im Süden und Osten des Mittelmeers tiefgreifend verändert wurde. Wichtige Begleiterscheinungen dieser Entwicklung waren neue Dimensionen individueller Mobilität sowie die Intensivierung des globalen Handels, der globalen Wissenszirkulation und des Wettbewerbs zwischen den Imperien.